6.2 Der Faden der Ariadne
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Theseus bei Minos Die Sage, die wohl den ältesten Algorithmus erwähnt. In der Informatik taucht das Problem bei der Tiefen- bzw. Breitensuche wieder auf. |
Aus Schab (19.06.1792
- 04.11.1850): Griechische Sagen
.... Die erste Tat, die Theseus verrichtete, seitdem er als Königssohn und Erbe des attischen Throns an seines Vaters Seite lebte, war die Aufreibung der fünfzig Söhne seines Oheims Pallas, welche früher gehofft hatten, den Thron zu erlangen, wenn Aigeus ohne Kinder stürbe, und welche ergrimmt waren, dass jetzt nicht bloß ein angenommener Sohn des Pandion, König der Athener sei, sondern dass auch in Zukunft ein hergelaufener Fremdling die Herrschaft über sie und das Land führen sollte. Sie griffen daher zu den Waffen und legten dem Ankömmling einen Hinterhalt. Aber der Herold, den sie mit sich führten und der ein fremder Mann war, verriet diesen Plan dem Theseus, der nun plötzlich ihr Versteck überfiel und alle fünfzig niedermachte. Um durch diese blutige Notwehr die Gemüter des Volkes nicht von sich abzukehren, zog hierauf Theseus auf ein gemeinnütziges Wagestück aus, bezwang den marathonischen Stier, der den Bewohnern vier attischer Gemeinden nicht wenig Not verursacht hatte, führte ihn zur Schau durch Athen und opferte ihn endlich dem Apollo. Um diese Zeit kamen von der Insel Kreta zum dritten Mal Abgeordnete des Königs Minos, um den gebräuchlichen Tribut abzuholen. Mit demselben verhielt es sich also: Der Sohn des Minos, Androgeos, war, wie die Sage ging, im attischen Gebiete durch Hinterlist getötet worden. Dafür hatte sein Vater die Einwohner mit einem verderblichen Kriege heimgesucht, und die Götter selbst hatten das Land durch Dürre und Seuchen verwüstet. Da tat das Orakel Apollos den Spruch, der Zorn der Götter und die Leiden der Athener würden aufhören, wenn sie den Minos besänftigten und seine Verzeihung erlangen könnten. Hierauf hatten sich die Athener mit Bitten an ihn gewendet und Frieden erhalten unter der Bedingung, dass sie alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen als Tribut nach Kreta zu schicken hätten. Diese sollen nun von Minos in sein berühmtes Labyrinth eingeschlossen worden sein, und dort habe sie, erzählt man, der grässliche Minotauros, ein zwitterhaftes Geschöpf, das halb Mensch und halb Stier war, getötet, oder man habe sie verschmachten lassen. Als nun die Zeit des dritten Tributes herbeigekommen war und die Väter, welche unverheiratete Söhne und Töchter hatten, diese dem entsetzlichen Lose unterwerfen mussten, da erneuerte sich der Unwille der Bürger gegen Aigeus, und sie fingen an, darüber zu murren, dass er, der Urheber des ganzen Unheils, allein seinen Teil an der Strafe nicht zu leiden habe, und nachdem er einen hergelaufenen Bastard zum Nachfolger ernannt, gleichgültig zusehe, wie ihnen ihre rechtmäßigen Kinder entrissen würden. Den Theseus, der sich schon gewöhnt hatte, das Geschick seiner Mitbürger nicht als ein fremdes zu betrachten, schmerzten diese Klagen. Er stand in der Volksversammlung auf und erklärte, sich selbst ohne Los hinzugeben. Alles Volk bewunderte seinen Edelmut und aufopfernden Bürgersinn; auch blieb sein Entschluss, obgleich sein Vater ihn mit den dringendsten Bitten bestürmte, dass er ihn des unerwarteten Glückes, einen Sohn und Erben zu besitzen, doch nicht so bald wieder berauben solle, unerschütterlich fest. Seinen Vater aber beruhigte er durch die zuversichtliche Versicherung, dass er mit den herausgelosten Jünglingen und Jungfrauen nicht in das Verderben gehe, sondern den Minotauros bezwingen werde. Bisher nun war das Schiff, das die unglücklichen Opfer nach Kreta hinüberführte, zum Zeichen ihrer Rettungslosigkeit mit schwarzem Segel abgesendet worden. Jetzt aber, als Aigeus seinen Sohn mit so kühnem Stolze sprechen hörte, rüstete er zwar das Schiff noch auf dieselbe Weise aus, doch gab er dem Steuermann ein anderes Segel von weißer Farbe mit und befahl ihm, wenn Theseus gerettet zurückkehre, dieses auszuspannen; wo nicht, mit dem schwarzen zurückzukehren und so das Unglück zum voraus anzukündigen. Als nun das Los gezogen war, führte der junge Theseus die Knaben und Mädchen, die es getroffen hatte, zuerst in den Tempel des Apollo und brachte dem Gott in ihrem Namen den mit weißer Wolle umwundenen Ölzweig, das Weihgeschenk der Schutzflehenden, dar. Nachdem das feierliche Gebet gesprochen war, ging er von allem Volk begleitet, mit den auserlesenen Jünglingen und Jungfrauen ans Meeresufer hinab und bestieg das Trauerschiff.
Das Orakel zu
Delphi hatte ihm geraten, er solle die Göttin der Liebe zur Führerin
wählen und ihr Geleite sich erbitten. Theseus verstand diesen Spruch
nicht, brachte jedoch der Aphrodite ein Opfer dar. Der Erfolg aber gab der
Weissagung ihren guten Sinn. Denn als Theseus auf Kreta gelandet und vor
dem Könige Minos erschienen war, zog seine Schönheit und Heldenjugend die
Augen der reizenden Königstochter Ariadne auf sich. Sie gestand ihm ihre
Zuneigung in einer geheimen Unterredung und händigte ihm einen Knäuel
Faden aus, dessen Ende er am Eingange des Labyrinthes festknüpfte und den
er während des Hinschreitens durch die verwirrenden Irrgänge in der Hand
ablaufen lassen sollte, bis er an die Stelle gelangt wäre, wo der
Minotauros seine grässliche Wache hielt. Zugleich übergab sie ihm ein
gefeites Schwert, womit er dieses Ungeheuer töten könnte.
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Quellen
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Foto:
MPohlig 1999 Text: Schwab - Griechische Sagen Radierung: Hans Erin 1997 |
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